Das Kartellverbot des Art. 101 AEUV umfasst auch vertikale Vereinbarungen, das heißt Vereinbarungen zwischen Unternehmen, die nicht auf der gleichen Marktstufe tätig sind. Mit der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung (Vertikal-GVO) und den dazugehörigen Vertikalleitlinien nimmt die Kommission einige Gruppen von vertikalen Vereinbarungen aus dem Kartellverbot heraus. Ziel ist es, den Unternehmen mehr Rechtssicherheit - einen sogenannten safe harbor - zu geben. Da die Vertikal-GVO und die dazugehörigen Leitlinien nur befristet gelten, steht eine Reform an. Die neue Vertikal-GVO („Vertikal-GVO-E") und die neuen Vertikalleitlinien („Vertikalleitlinien-E") sollen ab dem 01.06.2022 gelten.
Der nachfolgende Beitrag beschäftigt sich mit der Frage, welche Neuregelungen hinsichtlich Preisbildungsmechanismen im vertikalen Verhältnis zu erwarten sind.
Preisvergleichsinstrumente
Unter Preisvergleichsinstrumenten versteht die Kommission beispielsweise Preisvergleichswebseiten. Diese stellen aus Sicht der Kommission keinen eigenen Vertriebskanal dar, sondern ein Werbetool, weil Kunden in der Regel von der Vergleichsseite zur Seite eines Händlers weitergeleitet werden. Preisvergleichsseiten erhöhten nach Ansicht der Kommission die Preistransparenz und verminderten die Suchkosten des Kunden.
Ein vollständiger Ausschluss der Nutzung von Preisvergleichsseiten sei daher als Kernbeschränkung kartellrechtlich unzulässig (Rn. 323 ff. Vertikalleitlinien-E). Zulässig ist es jedoch, bestimmte Qualitätsmerkmale für Preisvergleichsseiten vorzuschreiben. Diese Merkmale müssen dann einheitlich angewandt werden. So darf ein Hersteller die Nutzung bestimmter Preisvergleichsseiten nicht nur für einige Händler beschränken, anderen Händlern oder gar sich selbst jedoch erlauben. Diese Konstellation würde den markeninternen Wettbewerb in unzulässiger Weise einschränken.
Preisbindung zweiter Hand
Bei der Preisbindung zweiter Hand versucht der Hersteller seinem Abnehmer vorzugeben, welche Preise dieser mit seinen Kunden zu vereinbaren hat. Dies war und bleibt nach Art. 4 lit. a) Vertikal-GVO-E kartellrechtlich unzulässig, wenn nicht nur Höchstpreise, sondern Mindestpreise vorgegeben werden. Gleiches gilt, wenn über Druck oder Zwang versucht wird, Preise auf nachgelagerten Markstufen durchzusetzen. Auch sollen wie bisher die gleichen Ausnahmen zum Verbot der Preisbindung zweiter Hand gelten: (1) kurzfristige Werbeaktion zur Einführung neuer Produkte, (2) koordinierte kurzfristige Sonderangebotskampagne von 2-6 Wochen, (3) Kompensation von Aufwand z.B. bei der Kundenberatung.
Der Einsatz von Preisüberwachungssoftware stellt allein gesehen keine Preisbindung zweiter Hand dar und ist damit (weiterhin) zulässig. Problematisch wird es jedoch, wenn die durch die Preisüberwachungssoftware gewonnene Transparenz dann dazu führt, dass auf Händler wegen angeblich „zu niedrigen” Preisen Druck ausgeübt wird.
Eine kleine Neuerung wurde in Rn. 178 Vertikalleitlinien-E aufgenommen, die besonders für das sogenannte Objektgeschäft interessant sein könnte: Eine Preisbindung der zweiten Hand liegt demnach nicht vor, wenn ein Hersteller direkt mit dem Endkunden auf einer nachgelagerten Marktstufe verhandeln und der ausführende Abnehmer, z.B. Großhändler, vom Hersteller ausgesucht wird. Wenn der ausführende Abnehmer kein wesentliches wirtschaftliches Risiko bei der Abwicklung des Vertrages übernimmt, dann kann ihm der zwischen Hersteller und Endkunden verhandelte Preis als vorgegeben werden, ohne gegen Kartellrecht zu verstoßen.
Doppelpreise für stationären und Online-Handel
Der Verkauf von Waren online oder offline kann zu unterschiedlichen Kosten (-strukturen) beispielsweise mit Blick auf erforderliche Investitionen wie Geschäftsräume und Beratungspersonal führen. Schon lange wurde in der Praxis versucht, die tendenziell höheren Kosten des stationären Handels über die Preissetzung zu kompensieren, indem zum Beispiel stationären Anbietern günstigere Preise angeboten wurden als Online-Händlern. Teilweise war diese „Unterstützung” des stationären Handels aber so konstruiert, dass durch seine Beschaffungspreise effektiv eine Benachteiligung des Online-Handels in einer Form vorlag, die diesen unrentabel machte - beziehungsweise nicht wettbewerbsfähig hinsichtlich der Endpreise. Die Vertikalleitlinien-E greifen diese Konstellation der Doppelpreissysteme („dual pricing”) nun auf und stellen klar, dass Doppelpreise (in Richtung beider Vertriebskanäle) zulässig sein können, wenn die unterschiedlichen (Investitions-) Kosten verschiedener Vertriebskanäle in angemessener Weise berücksichtigt werden. Wann dies der Fall ist, bleibt zu klären. Unzulässig ist es wie bisher, durch die Preisgestaltung einen Vertriebskanal unrentabel machen zu wollen.
Die Regelungen bezüglich Meistbegünstigungsklauseln wurden im Beitrag über Plattformen vorgestellt. Diesen Beitrag finden Sie hier.